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ADHS! ODER WAS?

Ü𝗯𝗲𝗿 𝗿𝗶𝗰𝗵𝘁𝗶𝗴𝗲 𝘂𝗻𝗱 𝗳𝗮𝗹𝘀𝗰𝗵𝗲 𝗗𝗶𝗮𝗴𝗻𝗼𝘀𝗲𝗻

Ein Gütekriterium für eine medizinische oder psychologische Diagnose ist ihre Gültigkeit (Validität). Es geht dabei um die Frage, ob eine Diagnose dasjenige misst, was sie zu messen vorgibt; hier also darum, ob eine ADHS-Diagnose tatsächlich ADHS misst. Diese Frage kann man auf zwei Ebenen beantworten:

1. Interne Validität: Hat sich die Diagnostik an vorgegebene Diagnoseregeln gehalten?

2. Externe Validität: Deckt sich die Diagnose mit externen Kriterien (objektive Belege für das, was gemessen werden soll?).

𝟭. 𝗭𝘂𝗿 𝗶𝗻𝘁𝗲𝗿𝗻𝗲𝗻 𝗩𝗮𝗹𝗶𝗱𝗶𝘁ä𝘁
Bei der ADHS-Diagnostik gilt seit Mai 2018 die „interdisziplinäre, evidenz- und konsensbasierte S3-Leilinie für die ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“. Wenn eine Diagnostik sich an diese Leitlinien gehalten hat, wäre sie also intern valide.

Aber halten sich Kliniker überhaupt an diese Leitlinien? Dieser Frage sind australische Forscher um Nguyen T. in einer Metaanalyse nachgegangen. Sie fanden, dass in fast 40 % der Fälle gar keine, und in den anderen Fällen nur kleine, unwesentliche Berücksichtungen festzustellen waren. Kliniker halten sich also gar nicht an diese Leitlinen, wohl auch deshalb, weil die federführenden Wissenschaftler, die sich auf diese Leitlinien geeinigt hatten, zu über 67 % Interessenkonflikte mit der Pharmaindustrie hatten, alle anderen Koordinatoren hatten ebenfalls solche Konflikte. In einer unabhängigen Bewertung der Leitlinie hinsichtlich solcher Interessenkonflikte erreichte sie denn auch nur 6 von 18 möglichen Punkten.

𝟮. 𝗭𝘂𝗿 𝗲𝘅𝘁𝗲𝗿𝗻𝗲𝗻 𝗩𝗮𝗹𝗶𝗱𝗶𝘁ä𝘁
Selbst wenn die Diagnose intern valide wäre, ist damit nichts darüber ausgesagt, ob sie auch extern valide ist. Misst sie wirklich eine spezifische neurophysiologische Disposition im Sinn einer medizinischen Krankheit? Solange es keine objektiven, spezifischen Biomarker für ADHS gibt, lässt sich diese Frage gar nicht beantworten. Oder woran soll man die Validität extern messen? Die Diagnose beruht ja auf nichts anderem als auf subjektiven und unspezifischen Verhaltensbeschreibungen.

Die Symptomatik findet sich denn auch bei ca. 70 anderen Auffälligkeiten und Störungen, die differentialdiagnostisch ausgeschlossen gehören. Erwachsene mit der Diagnose ADHS zeigen, wenn man genauer hinschaut, bis zu 12 andere psychiatrische Diagnosen. Forscher um Dimitrios Adamis fanden bei 80% der ADHS-Erwachsenen drei und mehr Persönlichkeitsstörungen, die bei der Diagnostik eigentlich ausgeschlossen werden müssen. Wenn Sie einmal den Abschnitt über die Differentialdiagnostik bei ADHS in den o. g. Leitlinien lesen, werden Sie verwirrt feststellen, wie beliebig eine ADHS-Diagnose zustande kommen kann.

Wir können also feststellen, dass sich über die Validität einer ADHS-Diagnose nichts Genaues sagen lässt. Zu behaupten, sie sei valide, grenzt an Wahrsagerei.

Man kann die Diagnose auch würfeln.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31732189…

FAMILIENTHERAPIE BEI „ADHS“

Wie sich Ritalin fast immer vermeiden lässt

Eine bereits klassische Erkenntnis der Familientherapie besagt, dass das Problem eines Familienmitgliedes erst im Kontext seiner Familie und Familiengeschichte verständlich und behandelbar wird. Sein Problem steht für etwas in seiner Familie, es ist Symptom eines übergeordneten Familienproblems.

Wenig Zweifel besteht an der Erkenntnis, dass psychologische Familienprobleme Hauptursache oder zumindest Hauptrisikofaktor für kindliche Verhaltensprobleme darstellen. Viele kindliche Verhaltensprobleme entstehen oder erscheinen nicht (zumindest nicht in erheblicher Ausprägung), wenn familiäre Hintergrundprobleme fehlen. Sie verschwinden (oder reduzieren zumindest ihre Intensität), wenn die Familienprobleme beigelegt werden können.

Selbst eher körperlich begründbare Verhaltensprobleme können bei Fehlen chronischer oder massiverer familiärer Hintergrundprobleme weniger intensiv bis völlig unauffällig sein bzw. besser kompensiert werden oder keine sekundären Probleme entwickeln. Eine bekannte und vorbildliche, fast klassische Studie, die diese allgemeinen Zusammenhänge gut belegt, stammt von Esser u. Schmidt (s.u.).

Carlson EA, Jacobvitz D, Sroufe LA. haben bereits gezeigt, dass in erster Linie Familienfaktoren darüber entscheiden, ob ein Kind „ADHS“ entwickelt oder nicht. Zwei andere Studien haben den engen Zusammenhang zwischen kindlichem „ADHS“ und mütterlicher seelischer Gesundheit sowie Eltern-Kind-Konflikten belegt:

Lesesne CA, Visser SN, White CP fanden einen engen Zusammenhang zwischen mütterlicher seelischer Gesundheit und dem Vorhandensein von „ADHS“ bei Schulkindern. Zwischen mütterlicher Gesundheit und dem sich daraus ergebenden Verhalten ihrer Kinder bestehe eine enge Verbindung. Sie betonen denn auch die Notwendigkeit einer familienbezogenen Therapie. Auch Burt SA, Krueger RF, McGue M, Iacono W. finden, dass chronische Eltern-Kind-Konflikte ein grundlegender Risikofaktor bei der Entwicklung kindlicher Verhaltensstörungen (darunter auch „ADHS“) darstellen. Sie stellen fest, dass kindliche Komorbiditäten nichts anderes als die gemeinsame Basis familiärer Hintergrundkonflikte widerspiegeln.

Die bisher von Medizinern konzipierte sog. multimodale Therapie bei „ADHS“ erscheint in diesem Zusammenhang als Stückwerk. Der Familienaspekt fehlt völlig. L.H. Diller, aber auch Th. Armstrong betonen zwar, wie wichtig ein familienorientiert-systemisches Verständnis und Therapieren bei „ADHS“ ist, in der klinischen Praxis dominiert aber überall ein eingeengtes, biologistisch auf das „kranke“ Kind zentriertes (oft rein medikamentöses) Vorgehen. Der Mythos von der lebenslänglichen Krankheit „ADHS“ spiegelt denn auch womöglich nur die Ineffizienz dieses biologistischen Sparprogramms wider, das die Psyche, die Familie und die Familiengeschichte des Kindes völlig ausblendet. Der Verdacht, das gängige medizinische „ADHS“-Konzept erwachse aus genau diesem Abwehrmechanismus, bietet sich zwanglos an.

Eine wirklich multimodale Therapie bei „ADHS“ muss deshalb in einer systemischen Familientherapie bestehen, in deren Rahmen sich kindbezogene Maßnahmen (auch eine Medikation) sinnvoll einbauen lassen müssen. Teamarbeit von Familie, Familientherapeut, Arzt, Kindertherapeut, Erzieherin bzw. Lehrer ist notwendige Voraussetzung. Besonders die Väter müssen in jedem Fall -auch bei geschiedenen Eltern- mit einbezogen werden. Die konfliktarme und konstruktive Zusammenarbeit der Eltern stellt den Hauptfakor eines hilfreichen Familiensystems dar. Aber auch Geschwister finden ihre Rolle im Kontext der familiären Veränderungen, die helfen können.

Eine allein auf das „ADHS-Kind“ zentrierte Problemsicht und Therapie ist jedenfalls in keinem Fall ausreichend. Die meisten Eltern, die darüber klagen, dass sie schon „alles“ versucht hätten und nichts geholfen habe (außer am Schluss Ritalin), waren nur aufs Kind zentriert. Sich selbst haben sie unfreiwillig ausgespart, mit Erzieherinnen und Lehrern lagen sie im Konflikt, und die Hilfseinrichtungen, mit denen sie es bisher zu tun hatten, haben sie darin unfreiwillig bestärkt.

Hilfesuchende Eltern sollten also immer ein familienorientiertes Therapiekonzept bei „ADHS“ zu finden versuchen. Nachfrage fördert auch in diesem Falle das Angebot. Am ehesten finden sie dies derzeit in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, aber auch in immer mehr SPZs und FFZs. Systemische Psychotherapie ist seit Kurzem eine von den Krankenkassen anerkannte Therapiemethode. Die meisten Ärzte oder Psychotherapeuten in Einzelpraxen können sich ein solches teamorientiertes und familienbezogenes Vorgehen aus Kostengründen derzeit leider gar nicht leisten, obwohl sie es fachlich oftmals bevorzugen würden.

Literatur:

G. Esser, M.H. Schmidt: Epidemiologie und Verlauf kinderpsychiatrischer Störungen im Schulalter – Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Nervenheilkunde 1987, 6, 27-35.

Weitere Literatur per PN

KINDLICHE TRAUMATA WIRKEN ÜBER DIE GENERATION HINAUS

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird von ihren Protagonisten einseitig als genetische, körperliche Krankheit dargestellt, obwohl es dafür keine validen wissenschaftlichen Belege gibt. Meist wird behauptet, ihr liege ätiologisch eine Hirnfunktionsstörung im Bereich der Transmitterregulation zugrunde (sog. Dopaminmangel). Belastende Kindheitserlebnisse („adverse childhood experiences“ (ACE)) werden weitestgehend ausgeblendet.

Die Korrelationen zwischen Genen und ADHS-Symptomatik haben sich bisher molekulargenetisch als minimal, unspezifisch und ohne klinische Bedeutung erwiesen. Sie sind nur von wissenschaftlichem Interesse, sind aber weder ätiologisch noch diagnostisch oder therapeutisch von irgendwelchem spezifischen Belang.

Ganz im Unterschied zu Forschungen, die die Beziehungen von Umweltbedingungen und Lernerfahrungen mit der ADHS-Symptomatik untersuchen. Die hier gefundenen Effekte überragen diejenigen der Molekulargenetik regelmäßig bei weitem.

Dies zeigt erneut eine aktuelle Studie in The Lancet, mit der Nora K. Moog von der Charité Berlin neben Forschern aus den USA der Frage nachgegangen sind, wie sich eine Misshandlung in der Kindheit späterer Mütter transgenerational auf ihre Kinder auswirkt.

Sie fanden u. a., dass sich die Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose bei den Kindern von in der Kindheit misshandelten Müttern verdoppelte, ein Anstieg also um 100 %.

Dieser klinisch relevante Befund verdeutlicht erneut, dass Umweltbedingungen und Lernerfahrungen wie kindliche Traumata die bisherigen genetischen Befunde zur Ätiologie der ADHS-Symptomatik weit in den Schatten stellen.

Umso wichtiger muss es sein, in Zukunft ADHS nicht mehr als körperliche, genetisch bedingte Krankheit hinzustellen, sondern zu erkennen, dass es sich um eine lebensgeschichtlich begründete und verstehbare psychogene Problematik handelt.

ADHS: DAS GROSSE SCHWEIGEN

Wie ein psychiatrisches Konstrukt zur Krankheit wird.

Seit Monaten rollt eine Propaganda-Welle durch den deutschen Blätterwald. Nachdem der Psychopharmakaumsatz („Ritalin“) bei Kindern zurückgeht, sollen wir nun darüber nachdenken, ob wir nicht auch als Erwachsene ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-störung) haben:

„Ich bin aber erwachsen, und ich „habe“ erst seit ein paar Jahren „offiziell“ ADHS“ schreibt Bettina Lüke im STERN. „ADHS bei Erwachsenen – Oft unerkannt, aber gut behandelbar“ heißt es bei SWR2. ADHS „hat mich zu dem gemacht, der ich bin“ verkündigt der britische Comedian Johnny Vegas im Guardian, während die Psychologin Mona Abdel-Habid bei DFL Nova verrät: „Nur zufällig kommt Angelina darauf, dass es sein könnte, dass ihr Gehirn anders funktioniert, als das von anderen Menschen. Als sie eine andere Frau über deren ADHS sprechen hört, denkt sie: „Das bin ich!“

Der Erfolg bleibt nicht aus: Der Ritalinumsatz bei Erwachsenen steigt.

Aber eine niederländische Forschergruppe um Laura Batstra von der Universität Groningen betont nun das große öffentliche Schweigen darüber, dass es keinen wirklichen Beleg für die Existenz einer medizinischen Hirnstörung namens ADHS gibt. Im genetischen Reduktionismus (Batstra) werden winzige genetische Korrelationen zur Ursache von ADHS erklärt, obwohl es keinerlei diagnostischen Gen- oder Hirnfunktionstest gibt. Erblichkeitsschätzungen, die sowohl das familiäre Umfeld als auch die Genetik umfassen, werden so diskutiert, als ob der genetische Teil der einzige Einfluss wäre. Dass psychosoziale Umweltfaktoren die Wahrscheinlichkeit einer ADHS-Diagnose erheblich erhöhen, wird verschwiegen (zum Beispiel erhalten früh eingeschulte Kinder 34 % häufiger die Diagnose ADHS). Hirnbesonderheiten werden als Ursache – und nicht als Folge – des Verhaltens behauptet.

Die Forscher betonen: Der kardinale Denkfehler besteht darin, dass eine schlichte Verhaltensbeschreibung so verdinglicht wird, als handele es sich um eine medizinische Krankheit. „ADHS“ ist aber in Wahrheit lediglich ein Etikett für ein Sammelsurium unspezifischer Verhaltensweisen, und nicht eine genetische Hirnkrankheit, die diese verursacht.

Nicht nur bei Kindern, auch bei „Erwachsenen-ADHS“ sind denn auch grundlegende wissenschaftliche Zweifel angebracht. Die Diagnose bei Erwachsenen setzt voraus, dass die Störung in der Kindheit begonnen haben muss. Aber nur ca. 10 % der Kinder mit der ADHS-Diagnose weisen noch als Erwachsene die geforderten Kriterien auf, so dass „ADHS bei Kindern“ und „ADHS bei Erwachsenen“ wahrscheinlich ganz unterschiedliche Phänomene sind (Moffit). Bei Erwachsenen mit ADHS findet man noch ca. 12 andere psychiatrische Störungen (Yoshimasu). Die Erwachsenen leiden demnach an irgendetwas, aber nicht an ADHS.

Über all dies herrscht derzeit in der medialen Öffentlichkeit ein großes Schweigen. Bis vor ca. 10 Jahren waren Berichte über ADHS noch differenzierter. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die gegenwärtige Kampagne durch einschlägige Lobbyisten, Influencer und Pharmafirmen betrieben wird -und viele spielen mit.

Quellen:
Moffitt, TE et. al. (2015): Is Adult ADHD a Childhood-Onset Neurodevelopmental Disorder? Evidence From a Four-Decade Longitudinal Cohort Study. Am J Psychiatry. Oct;172(10):967-77

Café Holunder: ADHS in der Kritik (2022): https://adhskritik.com/2020/07/29/adhs-bei-erwachsenen/

Yoshimasu K et. al. (2016): Adults With Persistent ADHD: Gender and Psychiatric Comorbidities – A Population-Based Longitudinal Study. J Atten Disord. Nov 18

Ärztezeitung (2018): Kinder tragen ADHS nur selten ins Erwachsenenalter

Agnew-Blais et al. (2016): Evaluation of the Persistence, Remission, and Emergence of AttentionDeficit/HyperactivityDisorder in Young Adulthood. JAMA Psychiatry Research July 1

Meermann, S. te, Freedman, J.E., Batstra (2022): ADHD and reification: Four ways a psychiatric construct is portrayed as a disease. https://www.frontiersin.org/…/fpsyt.2022.1055328/full…

DEPRESSION: STÜTZT DIE WISSENSCHAFT DIE SEROTONIN-HYPOTHESE?

Kaum ein anderer Aberglaube über ADHS hat sich bei Laien so eingeprägt wie die Behauptung, die Störung werde durch einen genetisch bedingten Dopaminmangel im Gehirn verursacht. Auch wenn es dazu keinen überzeugenden wissenschaftlichen Nachweis gibt, taugt das Ganze nach wie vor dafür, ADHS als eine körperliche, vererbte Krankheit zu vermarkten.

Das gleiche betrifft die alte Behauptung, Depressionen würden durch einen Serotoninmangel im Gehirn verursacht. Hierzu haben nun Joanna Moncrieff et al. eine umfangreiche Metaanalyse vorgelegt:

𝗗𝗜𝗘 𝗦𝗘𝗥𝗢𝗧𝗢𝗡𝗜𝗡-𝗛𝗬𝗣𝗢𝗧𝗛𝗘𝗦𝗘 𝗗𝗘𝗥 𝗗𝗘𝗣𝗥𝗘𝗦𝗦𝗜𝗢𝗡: 𝗪𝗜𝗥𝗗 𝗦𝗜𝗘 𝗗𝗨𝗥𝗖𝗛 𝗕𝗘𝗪𝗘𝗜𝗦𝗘 𝗚𝗘𝗦𝗧Ü𝗧𝗭𝗧?

Um es kurz zu machen: „Die Hauptgebiete der Serotoninforschung liefern keine konsistenten Beweise für einen Zusammenhang zwischen Serotonin und Depression, und keine Stütze für die Hypothese, dass Depressionen durch eine verringerte Serotoninaktivität oder -konzentration verursacht werden“.

Sic!

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35854107/

ADHS ALS BAD SCIENCE

Sie haben sicher schon einmal den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwonger (eigentlich Aiwanger) sprechen hören. Würden Sie sagen, sein lustiger Dialekt ist vererbt, also genetisch bedingt, weil seine Eltern und Großeltern auch schon so komisch gesprochen haben?

Ich glaube, nicht. Dass Menschen sprechen lernen können, ist sicher genetisch bedingt, aber welche Sprache, welcher Dialekt, nicht. Denn sonst müssten ja Bayern, Sachsen oder Schwaben ein unterschiedliches Genom haben, weil sie ganz unterschiedlich sprechen. Natürlich ist ihr Dialekt unwillkürlich erlernt, also durch familiäre Erfahrung angenommen.

Soweit ist Bad Science noch nicht vorgedrungen. Da finden tatsächlich Forscher aktuell heraus, dass die Kinder von „ADHS“-Eltern selber wieder öfter „ADHS“ haben, und sehen darin einen Beweis für die Vererbung von „ADHS“. Dabei hat z.B. bereits vor Jahren der amerikanische Forscher Jay Joseph herausgefunden, dass die Verhaltensgenetik bei ADHS keine Aussage über Genetik versus Umwelt zulässt. Alle Beobachtungen lassen sich auch vollständig durch nicht-genetische Einflüsse erklären.

Joseph resümiert: „Wir können nicht erwarten, dass die führenden Verhaltensgenetiker eingestehen, dass die Grundannahmen ihres Forschungsgebiets falsch sind, dass ihre hochgelobten Forschungsmethoden massiv fehlerhaft und durch Umwelteinflüsse konfundiert sind, und dass familiäre, soziale, kulturelle, ökonomische und politische Einflüsse es sind, – und nicht genetische-, die psychiatrische Störungen und die Variation menschlichen Verhaltens hauptsächlich begründen“.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36384349/
https://psychrights.org/…/CrumblinPillarsOfBehavioralGe…

ADHS UND DIE GRÜNEN ÄPFEL

Stellen Sie sich vor, Sie pflücken einen schönen grünen Apfel vom Baum, beißen hinein und erschaudern, so bitter und sauer ist er! Würden Sie sagen, der Apfel ist krank und braucht irgendeine Medizin? Sicher zweimal nein. Der Apfel ist völlig gesund und einfach noch nicht reif, es gab zu wenig Sonne, er braucht noch etwas Zeit, um nachzureifen und schön süß zu werden.

Genauso verhält es sich bei unserem Gehirn: In der Kindheit muss es reifen, erst mit ca. 20 Jahren ist es ausgereift. Und es reift je nach Nutzungsbedingungen unterschiedlich schnell, genau wie der grüne Apfel. Wenn die Lernerfahrungen und die sonstigen Reifungsbedingungen ungünstig sind, kann sich das Gehirn weniger gut oder langsamer entwickeln, die Synapsen verhalten sich nach dem Motto „use it or lose it“. Unreife Kindergehirne sind also nicht krank, sondern nur zu wenig „trainiert“.

Das deckt sich mit der gut belegten Beobachtung, dass zu früh eingeschulte Kinder häufiger die Falschdiagnose „ADHS“ samt Ritalin erhalten. Sie leiden eben in Wahrheit nicht an einer Krankheit, sondern brauchen einfach noch mehr Zeit für ihre Gehirnreifung.

Internationale Forscher behaupten dessen ungeachtet nach wie vor, dass bei ADHS-diagnostizierten Kindern eine abnormale Gehirnentwicklung vorliege, weil deren Gehirnreife im Durchschnitt ca. 10 Monate hinter der von Nicht-ADHS-Kindern liegt. Eltern sollten sich aber nicht verdummen lassen, wenn ihnen dergleichen von Fachleuten eingeredet werden soll, die noch nie in einen unreifen Apfel gebissen haben.

In Wahrheit braucht ihr gesundes Kind nur noch etwas Reifungszeit.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36532197/

FAMILIENTHERAPIE BEI „ADHS“

Eine bereits klassische Erkenntnis der Familientherapie besagt, dass das Problem eines Familienmitgliedes erst im Kontext seiner Familie und Familiengeschichte verständlich und behandelbar wird. Sein Problem steht für etwas in seiner Familie, es ist Symptom eines übergeordneten Familienproblems. Wenig Zweifel besteht an der Erkenntnis, dass psychologische Familienprobleme Hauptursache oder zumindest Hauptrisikofaktor für kindliche Verhaltensprobleme darstellen.

Viele kindliche Verhaltensprobleme entstehen oder erscheinen nicht (zumindest nicht in erheblicher Ausprägung), wenn familiäre Hintergrundprobleme fehlen. Sie verschwinden (oder reduzieren zumindest ihre Intensität), wenn die Familienprobleme beigelegt werden können. Selbst eher körperlich begründbare Verhaltensprobleme können bei Fehlen chronischer oder massiverer familiärer Hintergrundprobleme weniger intensiv bis völlig unauffällig sein bzw. besser kompensiert werden oder keine sekundären Probleme entwickeln. Eine bekannte und vorbildliche, fast klassische Studie, die diese allgemeinen Zusammenhänge gut belegt, stammt von Esser u. Schmidt (s.u.).

Carlson EA, Jacobvitz D, Sroufe LA. haben bereits gezeigt, dass in erster Linie Familienfaktoren darüber entscheiden, ob ein Kind „ADHS“ entwickelt oder nicht. Zwei neue Studien haben nun auch den engen Zusammenhang zwischen kindlichem „ADHS“ und mütterlicher seelischer Gesundheit sowie Eltern-Kind-Konflikten belegt:

Lesesne CA, Visser SN, White CP fanden einen engen Zusammenhang zwischen mütterlicher seelischer Gesundheit und dem Vorhandensein von „ADHS“ bei ihren Schulkindern. Zwischen mütterlicher Gesundheit und dem sich daraus ergebenden Verhalten ihrer Kinder bestehe eine enge Verbindung. Sie betonen denn auch die Notwendigkeit einer familienbezogenen Therapie. Auch Burt SA, Krueger RF, McGue M, Iacono W. finden, dass chronische Eltern-Kind-Konflikte ein grundlegender Risikofaktor bei der Entwicklung kindlicher Verhaltensstörungen (darunter auch „ADHS“) darstellen. Sie stellen  fest, dass die zwischen verschiedenen kindlichen Komorbiditäten nichts anderes als die gemeinsame Basis familiärer Hintergrundkonflikte widerspiegeln.

Die bisher von Medizinern konzipierte sog. multimodale Therapie bei „ADHS“ erscheint in diesem Zusammenhang als Stückwerk. Der Familienaspekt fehlt völlig. L.H. Diller, aber auch Th. Armstrong betonen zwar, wie wichtig ein familienorientiert-systemisches Verständnis und Therapieren bei „ADHS“ ist, in der klinischen Praxis dominiert aber überall ein eingeengtes, biologistisch auf das „kranke“ Kind zentriertes (oft rein medikamentöses) Vorgehen. Der Mythos von der lebenslänglichen Krankheit „ADHS“ spiegelt denn auch womöglich nur die Ineffizienz dieses biologistischen Sparprogramms wider, das die Psyche, die Familie und die Familiengeschichte des Kindes völlig ausblendet. Der Verdacht, das gängige medizinische „ADHS“-Konzept erwachse aus genau diesem Abwehrmechanismus, bietet sich zwanglos an.

Eine wirklich multimodale Therapie bei „ADHS“ muss deshalb in einer systemischen Familientherapie bestehen, in deren Rahmen sich kindbezogene Maßnahmen (auch eine Medikation) sinnvoll einbauen lassen müssen. Teamarbeit von Familie, Familientherapeut, Arzt, Kindertherapeut, Erzieherin bzw. Lehrer ist notwendige Voraussetzung. Besonders die Väter müssen in jedem Fall -auch bei geschiedenen Eltern- mit einbezogen werden. Die konfliktarme und konstruktive Zusammenarbeit der Eltern stellt den Hauptfakor eines hilfreichen Familiensystems dar. Aber auch Geschwister finden ihre Rolle im Kontext der familiären Veränderungen, die helfen können.

Eine allein auf das „ADHS-Kind“ zentrierte Problemsicht und Therapie ist jedenfalls in keinem Fall ausreichend. Die meisten Eltern, die darüber klagen, dass sie schon „alles“ versucht hätten und nichts geholfen habe (außer am Schluss Ritalin), waren nur aufs Kind zentriert. Sich selbst haben sie unfreiwillig ausgespart, mit Erzieherinnen und Lehrern lagen sie im Konflikt, und die Hilfseinrichtungen, mit denen sie es bisher zu tun hatten, haben sie darin unfreiwillig bestärkt.

Hilfesuchende Eltern sollten also immer ein familienorientiertes Therapiekonzept bei „ADHS“ zu finden versuchen. Nachfrage fördert auch in diesem Falle das Angebot. Am ehesten finden sie dies derzeit in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, aber auch in immer mehr SPZs und FFZs. Systemische Psychotherapie ist seit Kurzem eine von den Krankenkassen anerkannte Therapiemethode. Die meisten Ärzte oder Psychotherapeuten in Einzelpraxen können sich ein solches teamorientiertes und familienbezogenes Vorgehen aus Kostengründen derzeit leider gar nicht leisten, obwohl sie es fachlich oftmals bevorzugen würden.

Literatur:

G. Esser, M.H. Schmidt: Epidemiologie und Verlauf kinderpsychiatrischer Störungen im Schulalter – Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Nervenheilkunde 1987, 6, 27-35.

Weitere Literatur per PN

ADHS-DIAGNOSE GEHT EINHER MIT SELBSTVERLETZUNG BEI KINDERN

Australische Forscher verglichen Kinder mit oder ohne ADHS-Diagnose, wobei alle dieselben ADHS-Symptome hatten. Bei Untersuchungsbeginn waren die Kinder 6-7 Jahre alt, bei der Nachuntersuchung 14-15 Jahre:

„Diejenigen, die die Diagnose erhielten, schnitten schlechter ab, weil sie nicht das Gefühl hatten, zur Schule zu gehören und schulisch erfolgreich sein zu können, weniger ein Gefühl der Selbstwirksamkeit hatten und negatives soziales Verhalten zeigten. Am besorgniserregendsten war, dass sie ein höheres Maß an Selbstverletzung aufwiesen. Tatsächlich war die Wahrscheinlichkeit, sich selbst Schaden zuzufügen, bei Kindern mit ADHS-Diagnose 2,53-mal höher als bei Kindern, die das gleiche Ausmaß an ADHS-Symptomen hatten, aber keine Diagnose erhielten“.

Die Forscher konnten auch belegen, dass die verringerte Lebensqualität und die erhöhte Selbstverletzung der Diagnostizierten nicht auf die „grundlegende Störung“ zurückzuführen sind, wie Befürworter der ADHS-Diagnose oft argumentiert haben, sondern eben auf den Umstand der Diagnose.

Diese wichtige Studie zeigt erstmalig, was Praktiker lange erleben: Die ADHS-Diagnose stigmatisiert die Kinder und führt zu vermindertem Selbstwert, zu Misserfolgsmotivation und Verhaltensproblemen.

Abschließend schreiben die Forscher:

„Leider zeigen unsere Ergebnisse keine vorteilhaften Zusammenhänge zwischen einer ADHS-Diagnose und der Lebensqualität von Jugendlichen, was sehr besorgniserregend ist. Dies impliziert, dass die mit einer ADHS-Bezeichnung verbundenen Schäden (wie Stigmatisierung, Vorurteile, Ablenkung von anderen Problemen oder die wahrgenommene Unfähigkeit, sich zu ändern) möglicherweise nicht durch Vorteile im Zusammenhang mit der Diagnose oder Behandlung ausgeglichen werden. Dies ist problematisch, da es darauf hindeutet, dass Jugendliche durch die Diagnose geschädigt werden können und unterstützende Interventionen nicht die gewünschte Wirkung erzielen.“

https://www.madinamerica.com/…/adhd-diagnosis-leads…/…

ADHS: WENIG INTERESSE AN MISSHANDLUNG UNSERER KINDER

Es wird Zeit für ein besseres Modell von ADHS

Sobald ein Kind die Diagnose ADHS hat, interessieren sich Kliniker kaum noch dafür, ob psychosoziale Ursachen wie Missbrauch oder Vernachlässigung mitspielen. Darauf weist die Londoner Kinder- und Jugendpsychiaterin Louise Marie-Elaine Richards in einer Studie hin (1). Bei einem Vergleich von ADHS-Kindern mit verhaltensgestörten Kindern fanden Kliniker, die die Diagnose der Kinder nicht kannten, bei beiden Gruppen gleich viele psychosoziale Auffälligkeiten. Wenn sie allerdings die Diagnose kannten, übersahen sie solche Faktoren häufig, weil sie ADHS für eine genetische Krankheit halten (2).

Für die Kinder kann das verheerende Folgen haben, wenn ihr wirkliches Leid mit der medizinischen Pseudodiagnose ADHS verdeckt und unerkannt bleibt. Richards fordert deshalb, die bereits umfangreich erforschten psychosozialen Faktoren bei Ätiologie, Diagnostik und Therapie von ADHS nicht länger zu leugnen. „Es wird Zeit für die bessere Integration von bio-psycho-sozialen Faktoren bei ADHS“, sagt sie zu Recht.

Die Bedeutung psychosozialer Faktoren bei der Entstehung einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wurde bisher erheblich vernachlässigt. Die deutlichen Zusammenhänge von ADHS mit seelischer Gesundheit der Eltern, Kindesmisshandlung, posttraumatischer Belastungsstörung, Anpassungsstörung, Vernachlässigung, gestörter Familiendynamik, häuslicher Gewalt, niedrigem psychosozialem Status und anderen Umwelteinflüssen dürfen nun nicht länger ausgeblendet bleiben. Kliniker unterschätzen bislang die Bedeutung solcher psychosozialer Faktoren und sehen sie bestenfalls als Folgen von ADHS, nicht aber auch als Ursachen. Neurobiologische Forschungen, die den Einfluss von frühem Missbrauch und Anpassungsstörungen auf die Hirnentwicklung zeigen, müssen ebenfalls zur Kenntnis genommen werden.

Die Bedeutung vieler vorliegender Befunde zum Einfluss psychosozialer Faktoren bei ADHS sowohl für Kliniker als auch für die allgemeine Öffentlichkeit ist weitreichend, vor allem auch für unser Schulsystem. Das bisher einseitig biologisch-medizinische Krankheitsmodell ADHS, das Verhalten nur beschreibt, aber nicht erklärt, muss endlich qualifiziert werden.

Quellen:

(1) Richards, LM.: It is time for a more integrated bio-psycho-social approach to ADHD. Clin Child Psychol Psychiatry. 2012 Oct 26.

(2) Overmeyer S, Taylor E, Blanz B, Schmidt MH: Psychosocial adversities underestimated in hyperkinetic children. J Child Psychol Psychiatry. 1999 Feb;40(2):259-63