65 000 ARTEN VON ADHS.

Von Hans-Reinhard Schmidt

Liebe Gäste,
wie Sie sicher wissen, ist es trotz tausender Studien bisher nicht gelungen, für psychiatrische Störungen zuverlässige Biomarker zu finden. Diagnosen bleiben deshalb rein klinisch, werden also z. B. mit Verhaltensbeobachtungen gesucht. Wir haben hier erst kürzlich über den Wissenschafts-Flop diskutiert, als sich 2015 ca. 2500 euphorische Amygdala-Studien als Artefakt entpuppt haben. Nichtsdestotrotz beharrt die ADHS-Szene immer weiter darauf, dass ADHS eine körperliche, medizinische Krankheit sei und es dafür Biomarker gebe, vom Dopaminmangel über Hirnstoffwechsel-Störungen, vergrößerte Mandelkerne, Gendefekte usw. Was Prof. Dr. Stephan Schleim, Universität Groningen, hierzu sagt, kann man nicht oft genug anführen. Wir zitieren ihn:

„Wie wahrscheinlich ist es, dass jemals ein Biomarker für ADHS im Nervensystem gefunden werden wird? Wie wir gesehen haben, ist die Störung heute über zwei Mengen (für Aufmerksamkeitsprobleme beziehungsweise Hyperaktivität/Impulsivität) von jeweils neun Symptomen definiert. Von mindestens einer der beiden müssen mehr als fünf Symptome vorliegen. Dies liefert bereits 130 Kombinationen pro Menge, ohne Kombinationen der beiden zu berücksichtigen.

Mehr als 65.000 Arten von ADHS
Da jeweils jede Ausprägung der einen Menge mit allen 130 der anderen Menge kombiniert sein könnte, komme ich bereits jetzt auf knapp 17.000 Phänotypen der ADHS laut DSM-5. Dazu kommt, dass beim Vorliegen von mindestens sechs Symptomen einer Menge die der anderen nicht mehr zwingend notwendig sind. Deshalb kann man die 130 Varianten der einen mit 512 der anderen kombinieren und kommt schon auf über 65.000 Varianten.

Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, was sonst noch, also außer den 18 Symptomen, das Nervensystem eines Menschen beeinflusst; und es ist stillschweigend vorausgesetzt, dass sich solche Symptome beziehungsweise Zusammenstellungen davon in den Gehirnen verschiedener Menschen auf dieselbe Weise äußern. Diese Annahme beruht aber auf purem Pragmatismus – oder in anderen Worten: Wunschdenken.

Natur und das DSM
Zu guter Letzt sind die Symptombeschreibungen soziale Konstrukte, die am Konferenztisch entstanden sind. Was für ein Zufall, ja ein Wunder, müsste es sein, hätte die Natur es so eingerichtet, dass in den Nervensystemen aller Menschen stabile Muster zu finden wären, die unserer heutigen Beschreibungsform entspricht? Mit anderen Worten: Die Natur hat das DSM nie gelesen; und sie hat ihm auch nicht zugestimmt.

Was wäre unter diesen Umständen denn das einzig Vernünftige, als die ewige wie ewig erfolglose Suche nach zuverlässigen Biomarkern psychischer Störungen endlich aufzugeben?“

https://www.heise.de/…/ADHS-und-die-Suche-nach-dem-Heiligen…

Autor: adhskritik

Hans-Reinhard Schmidt, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Gutachter, Buchautor, Supervisor, Dozent.

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