ADHS-Aberglaube 4: DER HYPERFOKUS

Wenn Sie sich auf eine Sache, die Sie so richtig begeistert und packt, total konzentrieren und alles andere um sich herum vergessen, dann sind Sie „hyperfokussiert“. Sie schauen z.B. im Kino einen begeisternden Film und nehmen gar nicht mehr wahr, dass Ihr linker Nachbar Chips knuspert und der rechte eingeschlafen ist. Und jetzt lachen Sie bitte nicht: So etwas soll es auch als krankhaftes Symptom bei „ADHS“ geben.

Der notorische amerikanische ADHS-Experte Barkley behauptet, bei „ADHS“ gebe es nicht nur eine zu geringe Aufmerksamkeit, sondern auch eine pathologische, unwillentliche und reizabhängige Hyperaufmerksamkeit, einen Hyperfokus. Eigentlich müsste ADHS deshalb anders heißen: Aufmerksamkeitsdefizit – und –hyperfokus – Hyper- und Hypoaktivitäts-Störung, kurz: ADHHHS. Wenn Sie dies aussprechen, bestätigt sich: dreimal kurz gelacht.

Ernst herbei: Eine generelle Störung der Aufmerksamkeit bei ADHS hat man bekanntlich bis heute nicht gefunden, ein spezifisches Aufmerksamkeitsdefizit gibt es also bei ADHS gar nicht. Deshalb spricht man lieber von einer angeblichen Regulationsstörung der Aufmerksamkeit. Der Hyperfokus soll demnach einerseits nicht willentlich steuerbar, dennoch aber motivational abhängig sein. Hoppla, soll das heißen, er ist unterbewusst gesteuert? Der alte Freud würde sich freuen.

Nun kennt man zwar seit langem Perseverationen, formale Denkstörungen bei hirnorganischen Störungen, aber auch bei Schizophrenie. Und weil ADHS-Symptome extrem unspezifisch sind (Prof. Dr. Romanos, Würzburg: in 80% der ADHS-Fälle gibt es noch mindestens eine weitere „komorbide“ Diagnose) und sich eben auch bei solchen Störungen finden lassen, ist es denkbar, dass Barkley und Konsorten Hirnorganiker oder Schizophrene für „ADHSler“ gehalten haben und deren Perseverationen dann einfach Hyperfokus nannten. Bei der Allerweltsdiagnose „ADHS“ sind der Phantasie ja keine Grenzen gesetzt. Unter der Wirkung von Methylphenidat („Ritalin“) scheint es so etwas wie eine Hyperfokussierung bzw. mangelhafte Ablenkbarkeit zu geben, so dass manche Fachleute auch glauben, ein Hyperfokus sei nicht charakteristisch für ADHS, sondern eine Folge der Droge Amphetaminderivat.

Wissenschaftlich belastbare Bestätigungen eines Hyperfokus bei ADHS gibt es keine. Alles ist graue Theorie, wird aber in Laienkreisen geglaubt wie das Amen in der Kirche. Der renommierte deutsche ADHS-Experte Prof. Dr. Gerhard Lauth hält den Hyperfokus bei ADHS denn auch für ein Scheinphänomen.

Wir ergänzen: So wie ADHS selbst auch.

Autor: adhskritik

Hans-Reinhard Schmidt, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Gutachter, Buchautor, Supervisor, Dozent.

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