Von Hans-Reinhard Schmidt
Immer noch heißt es, ADHS sei keine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Und dann wird der Hoffmann´sche Zappelphilipp als Beispiel des angeblichen ADHS-Prototyps behauptet. Aber das Beispiel hinkt gewaltig.
Dr. Philipp Julius von Fabricius, renommierter Frankfurter Arzt und das reale Vorbild für Heinrich Hoffmanns Zappelphilipp (Bild 1), litt als Kind keineswegs an einer Krankheit oder Störung ähnlich „ADHS“. Der bekannte „Literaturdetektiv“ Prof. Dietmar Grieser sagt hierzu: „Dass spätere Forscher…aus dem bloßen „Taufpaten“ ein hypernervöses Kind, ja sogar einen Epileptiker machen werden, ist ein Fall von Überinterpretation, der dem kerngesunden Philipp Fabricius nur ein müdes Lächeln entlocken kann“ (1).
Hoffmann war mit anderen Frankfurter Arztfamilien befreundet und nahm alltägliche Erlebnisse aus deren Familien als Vorlagen für sein selbstgemachtes Erziehungsbuch „Der Struwwelpeter“, das er seinen Kindern schenkte. Darunter auch die arme kleine Pauline Schmidt mit den Zündhölzern, die real allerdings nur die Gardinen angezündet hat und nicht gleich selbst verbrannte. Sie starb leider schon mit 16 Jahren an Tuberkulose. Zum Glück ist bis heute noch niemand auf die Idee gekommen, sie als Prototyp für die Pyromanie zu nehmen. Ehe wäre an ein Beispiel für Kindesvernachlässigung zu denken, denn Hoffmann dichtet: „Paulinchen war allein zu Haus, die Eltern waren beide aus…“
Liebe Gäste, wenn Sie einmal auf den Frankfurter Hauptfriedhof kommen, finden Sie dort die Gräber von Heinrich Hoffmann, sowie vom „Zappelphilipp“ und von Paulinchen, eines der dort meistbesuchten Gräber. Karin Jung, die Ururenkelin von Heinrich Hoffmann, hat übrigens ein sehr hübsches Scherenschnitt-Buch über den Struwwelpeter ihres Ururgroßvaters veröffentlicht (2).
Dass es immer schon bisweilen unruhige und/oder unaufmerksame Kinder gab, ist ohnedies jedermann bekannt. Dafür gibt es aber im Einzelfall viele ernstere oder völlig harmlose Ursachen. Gerade deshalb ist ADHS als codifizierbare und abrechnungsfähige Krankheit durchaus eine Erfindung der letzten Jahrzehnte, in die Welt gesetzt durch einen schlichten Mehrheitsbeschluss amerikanischer Ärzte im Jahre 1967, gegen starke fachliche Widerstände.
1. Dietmar Grieser: Paulinchen war allein zu Haus. Inselverlag 1992 (Bild 1 von Philipp von Fabricius stammt aus diesem Buch).
2. https://www.amazon.de/Scherenschnitt-Struwwelp…/…/3943052001
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